Von YOLO, Memento Mori und Carpe Diem

KANN MAN WIRKLICH JEDEN TAG LEBEN, ALS WÄRE ES DER LETZE?

Man findet sie als Tattoos, Wandsprüche, Postkarten oder Kühlschrankmagneten. Die Erinnerung daran, dass das Leben vergänglich ist und man gefälligst seine Zeit auf Erden nutzen sollte.

Einer meiner Lehrer verwendete gerne den Ausspruch „Memento Mori“, was übersetzt bedeutet, dass man dran denken sollte, dass man irgendwann mal das Zeitliche segnet. "Arsch hoch, Time is ticking“ sozusagen. 

Wenn ich mir täglich vor Augen führen würde, dass mich am Ende der Tod erwartet, steigt eher Panik in mir auf, statt des Gefühls Dinge endlich anpacken zu wollen und im Hier und Jetzt zu leben. 

In der Küche einer Freundin hängt eine Postkarte am Kühlschrank, auf der steht:“Lebe jeden Tag, als wäre er dein letzter.“ 

Aber wenn dies nun wirklich der letzte Tag auf Erden wäre, würden ich dann am Schreibtisch sitzen und diesen Text hier verfassen? Vermutlich nicht. Nein, eigentlich ganz sicher nicht, denn obwohl ich das Schreiben sehr gerne mag, wäre es nicht meine erste Wahl für den letzten Tag.

Um ehrlich zu sein, will ich überhaupt nicht an den Tod denken. Weder an meinen noch an den von Freunden oder Familienangehörigen. Das alles wird ohnehin irgendwann auf mich zukommen. Ändern kann ich daran nichts, also warum Zeit damit verschwenden daran zu denken?

Dann lieber Carpe Diem oder YOLO. 

Vielleicht fragt ihr euch jetzt wo ich da die Grenze ziehe? Was ist der Unterschied?

YOLO bedeutet für mich, bei Entscheidungen einfach mal darauf zu scheißen, was die Konsequenz sein kann. In den allermeisten meiner Fälle beziehen sich die Entscheidungen auf das Reisen und die Konsequenzen auf mein Bankkonto. Es ist dieses, „nicht immer alles abwägen und sich Gedanken machen, was ist wenn“, sondern „machen“! Meisten im Augenzu-und-durch-Modus. So bin ich übrigens an mein Flugticket nach Nepal gekommen. Zwei Monate nach dem Beginn meiner Selbständigkeit. Kurz darüber nachgedacht, dass mir das Geld für das Ticket auch die nächste Miete zahlen würde, dann für YOLO entschieden und einfach gemacht. Ist ja alles gut gegangen. Grüße an meine Vermieterin an dieser Stelle, die gar nicht wusste, wie oft ich am Anfang Blut und Wasser geschwitzt habe, ob ich genug Aufträge zum Zahlen meiner Miete haben würde. 

Aber weil wir eben nicht wissen, wann wir was zum letzten mal tun, können wir nicht jeden Tag alles machen.

Denn dann würde mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit keiner auf der Arbeit erscheinen. Man würde Dinge tun, dessen Konsequenzen man nicht fürchten muss, und das muss ja nicht immer unbedingt etwas positives sein. 

Fensterscheibe beim Juwelier einschlagen, nur um zu sehen wie lange es dauert bis die Polizei anrückt? Oder was dann überhaupt passiert. Wäre interessant zu wissen, oder? 

Die meisten von euch würden ihren letzten Tag auf Erden vermutlich mit ihren Liebsten verbringen. Ein letztes gemeinsames Abendessen, letzte Gespräche und Umarmungen. 

Wenn ein Mensch stirbt, dann bereuen die Freunde und Angehörigen meistens, nicht genug Zeit mit dem Verstorbenen verbracht zu haben. 

Ich kann dieses Gefühl nachvollziehen. Aber rückwärts betrachtet, sieht das Leben eben anders aus. Hat man nicht genug Zeit mit dem Menschen verbracht, weil einem das nicht wichtig war, oder weil man schlichtweg keine Zeit hatte, weil man auch selbst ein Leben hat, in dem man vielem und vielen gerecht werden möchte. Hin und wieder auch sich selbst!?

Wenn ich jeden Tag wie den letzten leben würde und dann doch immer wieder ein neuer anbricht, dann werde ich vermutlich irgendwann mal keine Lust mehr haben, täglich zu meiner Familie zu fahren, zu essen und zu umarmen und zu reden. 

Versteht mich nicht falsch, Carpe Diem ist schon eine gute Angelegenheit. Den Tag nutzen und wertschätzen, jeden neuen, an dem man morgens aufwacht. (Oder Mittags, je nachdem).

Aber weil wir eben nicht wissen, wann wir was zum letzten mal tun, können wir nicht jeden Tag alles möglich machen. Noch einmal Reisen? Noch einmal küssen? Noch einmal das Meer sehen? Noch einmal Oma besuchen? Noch einmal die Sterne beobachten? Noch einmal Achterbahn fahren?

Die Hauptsache ist, dass wir den Moment, in dem wir glücklich sind, in dem wir tun, was wir lieben, den wir mit Menschen verbringen, die wir lieben zu schätzen wissen. 

Lebt nicht jeden Tag als wäre es der letzte. Genießt jeden Moment, von dem ihr nicht wisst, ob er so nochmal wiederkommt. 

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